Geld vs. Titel: Schadet das Sprungbrett-Modell des BVB der sportlichen Leistung des Klubs?

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Geld vs. Titel: Schadet das Sprungbrett-Modell des BVB der sportlichen Leistung des Klubs?

Die Jagd beginnt sehr früh. Normalerweise schon als Kind. Jude Bellingham und Gio Reyna wurden mit 14 Jahren entdeckt. Erling Braut Haaland tauchte 2016 zum ersten Mal auf dem Radar auf, mehr als drei Jahre vor seinem Wechsel zum BVB. Altersgruppenspiele werden heimlich besucht. Talente werden mit chirurgischer Präzision entdeckt.

Die ersten Kontakte werden hergestellt. Das Interesse wird subtil bei den Eltern und dem Berater gemeldet. Trikots und Klubwaren werden per Post zugeschickt. Der potenzielle Spieler wird nach Deutschland eingeladen, um ein Spiel vor dem tosenden Dröhnen der Gelben Wand zu sehen (wenn es die Pandemie erlaubt). Keine knalligen Schmeicheleien, keine Superyachten, keine Koffer voller Geld. Wie Sportdirektor Michael Zorc gerne sagt, muss Borussia Dortmund ihren Hoffnungsträgern keine großen Versprechungen machen. Sie befördern sie einfach den Kader.

So feierte Bellingham mit 17 Jahren gleich am ersten Spieltag der neuen Bundesliga-Saison sein Debüt im zentralen Mittelfeld gegen Borussia Mönchengladbach und bereitete ein Tor für den 17-jährigen Reyna in der ersten Hälfte vor. In der zweiten Halbzeit machte der 20-jährige Haaland mit zwei Toren den 3:0-Sieg perfekt, wobei der zweite Treffer vom 20-jährigen Jadon Sancho aufgelegt wurde. Das Dortmunder Angriffsquartett hatte somit ein Durchschnittsalter von 18 Jahren und 11 Monaten: 4 der vielversprechendsten jungen Angreifer Europas, die ihre prägenden Jahre der BVB-Starfabrik anvertraut haben.

Bei größeren Vereinen wäre der Aufstieg zum Profifußball kaum so schnell vollbracht. Möglicherweise wären sie dort noch einige Jahre Bankdrücker geblieben. Bellingham und Haaland wurden von Manchester United umworben. Reyna wurde von Bayern München verfolgt. Sancho verließ Manchester City 2017 sensationell, noch bevor er ein Profispiel bestritten hatte. Alle entschieden sich für Dortmund, verlockt vom Versprechen eines sofortigen Profi-Einsatzes und einer raschen Karriereentwicklung: eine Art Elite-Fußballuniversität, an der Jugendliche neue Dinge ausprobieren und sich selbst finden können, bevor sie in die reale Welt gehen.

Dies ist der Dortmund-Weg: die Strategie, die Bewunderer in ganz Europa gewonnen hat für ihre Fähigkeit, junge Spieler zu kaufen, sie jung zu verkaufen und dabei einen unglaublichen Gewinn zu erzielen. Ousmane Dembele: für 15 Mio. Euro verpflichtet, nach einer Saison an Barcelona verkauft für 130 Mio. Euro. Christian Pulisic: kostenlos verpflichtet, für 64 Mio. Euro an Chelsea verkauft. Dann auch Jadon Sancho und Erling Haaland.

Natürlich sind das nur die besten Beispiele. Aber auch von den Flops profitieren die Dortmunder letztendlich. Das berüchtigte dänische Wunderkind Jacob Bruun Larsen wurde für 9 Mio. Euro an Hoffenheim verkauft. Bei Matthias Ginter klappte es auch nicht beim BVB, dennoch erzielte der Verein von seinem Transfer zu Borussia Mönchengladbach einen Gewinn von 70 %. Der "türkische Messi" Emre Mor wurde für 10 Mio. Euro verpflichtet, verbrachte nur eine katastrophale Saison beim Klub und wurde trotzdem für 13 Mio. Euro an Celta Vigo verkauft.

Und Dortmunds Einfluss zeigt sich deutlich bei solchen Vereinen wie Lille, Leicester, Arsenal (der den Dortmunder Chef-Scout Sven Mislintat geholt hat, um den BVB-Erfolg zu wiederholen) und sogar Real Madrid. Es ist eine gute Strategie. Der Verein bekommt einen der besten jungen Spieler der Welt. Der Spieler erhält eine Ausbildung. Die Fans werden mit schnellem und faszinierendem Fußball verwöhnt. Jeder gewinnt.

Allerdings muss man bei dieser Strategie oft den Erfolg opfern: Seit 2012 hat Dortmund einen Umsatz von 415 Mio. Euro von Spielern erzielt, die jünger als 21 Jahre alt waren. Auf dem Platz hat der Klub jedoch insgesamt nur einen Pokal gewonnen, ein Champions-League-Finale erreicht und insgesamt 149 Punkte weniger gesammelt als der FC Bayern.

Funktioniert also das Dortmunder Modell? Sind sie nur ein mittelgroßer Club in einer Welt der Giganten, der sein Bestes tut und "jedes Jahr den Stein wie Sisyphus nach oben rollt", wie es Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke einst sagte? Oder sind sie einfach ein "Feeder-Klub", eine Schule, durch die alle Youngsters durch müssen?

Vielleicht gibt es ein bisschen von Beidem und in gewissem Sinne sind dies Fragen, die die Grundlagen des Fußballs berühren. Was macht Erfolg aus? Wofür ist ein Fußballverein eigentlich gedacht? Sicherlich muss jede objektive Bewertung des Dortmunder Modells nicht nur die vorherrschende Finanzlandschaft berücksichtigen, sondern auch die Wissenschaft und die Romantik an der Arbeit, den dreisten Optimismus, auf ein junges, unerfahrenes Juwel zu setzen, und den dreisten Zynismus der dahinter stehenden Logik.

Die Wurzeln der Dortmunder Strategie liegen in der Finanzkrise Mitte der 2000er Jahre, wegen der der Klub kurz vor der Insolvenz stand. Als Zorc und Watzke übernahmen, war ihre Politik, unerfahrene junge Spieler zu verpflichten, nicht vom Idealismus, sondern von der Not getrieben. Unter einem innovativen Trainer namens Jürgen Klopp baute Dortmund eine Bundesliga-Siegesmannschaft mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren auf.

Als die goldene Generation verkauft wurde, kam die nächste. Jetzt sehen die Youngsters Dortmund als Sprungbrett-Klub, als Schaufenster: Durchschnittlich wird jede Saison rund die Hälfte der Mannschaft ersetzt. Wie kann ein Klub in diesem ständigen Wandel überhaupt etwas aufbauen?

Der frühere Präsident des FC Bayern München, Uli Hoeneß, argumentierte kürzlich, dass die Dortmunder Politik, junge Spieler "aus geschäftlichen Gründen" zu verpflichten, der Grund dafür ist, dass sie lange schon keine ernsten Titelkonkurrenten sind. "Wie soll ein Spieler die DNA eines Vereins hundertprozentig aufsaugen, wenn er das Gefühl hat, ein Verkaufsobjekt zu sein?", fragte er sich. "Ich glaube, solange die Dortmunder dieses System nicht ändern, werden sie diese letzten zehn Prozent nicht kriegen, dass man in wichtigen Spielen die richtigen Leistungen bringt."

Natürlich war Hoeneß wie immer böse und sein Kommentar zogen eine wütende Widerlegung aus Dortmund nach sich. Der Geschäftsführer des Klubs, Carsten Cramer, gab jedoch in einem Interview mit Financial Times im Jahr 2018 zu, dass "es nicht Teil unserer DNA ist, unbedingt die Nummer eins zu sein". Mit so einer Einstellung wird man kaum irgendwann aus dem Schatten der Bayern heraustreten.

Es ist sehr schwer, aus diesem ewigen Kauf-Verkauf-Kreislauf zu kommen. Könnte jedoch der Verbleib von Erling Haaland oder Jude Bellingham trotz des aktiven Interesses von Top-Klubs der erste Schritt dazu gewesen sein?

VerfasserSenseny SeligerQuelleThe Guardian
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