"Wir spielen seit acht Wochen und haben noch immer keine Taktik": So wurde Otto Rehhagel bei Bayern zum großen Missverständnis

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"Wir spielen seit acht Wochen und haben noch immer keine Taktik": So wurde Otto Rehhagel bei Bayern zum großen Missverständnis

Ausgerechnet in seinem neuen Wohnzimmer, dem Münchner Olympiastadion, kassierte Otto Rehhagel in seinem letzten Spiel mit Werder Bremen eine bittere 1:3-Niederlage und verpasste die Meisterschaft. Die Schale nach 14 Jahren noch einmal nach Bremen zu holen - das wäre der perfekte Abschied gewesen. Doch sein zukünftiger Arbeitgeber schlug Werder, während Dortmund vorbeizog und Deutscher Meister wurde.

Die Enttäuschung saß noch tief, als "König Otto" am 10. Juli 1995 offiziell als neuer Bayern-Trainer vorgestellt wurde. In Anlehnung an einen Werbeslogan eines Versandhauses trugen Rehhagel und der damalige Bayern-Präsident Franz Beckenbauer schwarze Baseball-Caps mit der Aufschrift: "Otto find' ich gut". Nach dem gescheiterten Versuch mit Giovanni Trapattoni war Beckenbauer überzeugt, dass es diesmal die richtige Wahl sein wird.

Die Erwartungen sind groß - auch aufgrund des Kaders, den Rehhagel an die Hand bekommen hat: mit Oliver Kahn, Lothar Matthäus, Mehmet Scholl, Jean-Pierre Papin und anderen namhaften Spielern. Zu Rehhagels Amtsantritt wird der Kader sogar noch durch Klinsmann, Sforza, Strunz und Herzog verstärkt. Besser geht's nicht.

Rehhagel gelingt kein perfekter, aber ein guter Start: Das Team siegt in Bundesliga, Pokal und UEFA-Cup. Doch dann folgt das Pokal-Aus gegen Fortuna Düsseldorf (1:3) und am 8. Spieltag die erste Niederlage bei Meister Borussia Dortmund (1:3). Es kommt zur Eskalation. Mehmet Scholl kritisiert öffentlich: "Wir spielen seit acht Wochen und haben noch immer keine Taktik". Eine Woche später siegt Borussia Mönchengladbach in München 2:1.

Rehhagel tat es sich schwer, mit dem meinungsstarken Kader umzugehen. Vor allem die Frage, ob Mehmet Scholl oder Andreas Herzog im Mittelfeld spielen sollen, trieb nicht nur Fans und Medien, sondern auch die Vereinsbosse um. Rehhagel setzte seine Idee der Rotation durch und stieß damit auf Kritik der Verantwortlichen. Doch "König Otto" blieb stur und erklärte auch nicht seine Entscheidungen.

Am Ende der Hinrunde stand Bayern auf Rang zwei hinter Dortmund, doch die Stimmung im Klub war sehr angespannt. Die Spieler äußerten öffentlich Kritik, allen voran wieder Mehmet Scholl: "Rehhagel oder ich. Jetzt tut's einen Schlag. Und wenn sie mich rausschmeißen, ist es mir auch wurscht". Auch eine Krisensitzung im November mit dem Trainer, dem Präsidium und einigen Spielern brachte keine Besserung.

Es folgt ein krasser Fehlstart in der Rückrunde: eine 1:2-Niederlage gegen den HSV und ein 1:4-Debakel im Olympiastadion gegen den Tabellenzwölften Karlsruher SC. "Seltsam pomadig, ja lustlos spulten die Bayern ihr Pensum herunter", hielt der kicker nach dem Spiel fest. Gegen den KSC hatte Rehhagel ausgerechnet Scholl und Herzog von Beginn an spielen lassen.

Die Lage entspannte sich wieder, als Bayern nur eine Woche nach der KSC-Katastrophe Uerdingen mit 6:1 besiegte und im UEFA-Cup weiter vorstieß. Zwar gelang im UEFA-Cup-Halbfinale gegen Barcelona der Finaleinzug, aber Rehhagels Ende wurde immer greifbarer. In Gladbach verlor der FC Bayern 1:3, gegen St. Pauli gab es nur ein 1:1. Es folgte ein 1:1-Unentschieden im Heimspiel gegen Frankfurt und eine 0:1-Niederlage gegen Rostock ebenfalls im Olympiastadion. Bayern verlor die Tabellenführung und wie ein Jahr zuvor musste Rehhagel ansehen, wie Dortmund an ihm vorbeizieht. Das war das Ende.

"Der Zeitpunkt war gekommen, wir mussten reagieren", erklärte Beckenbauer die Trennung. Der kicker schrieb: "Erst leise, dann immer lauter sickerte die Kritik nach außen. Allein, Rehhagel reagierte nicht. Weder auf gut gemeinte Ratschläge seitens der Führung, noch auf Anregungen der Spieler. Nicht die Probleme, die Rehhagel mit den Medien hat, führten zur Trennung, sondern die rein fachlichen Differenzen. Otto Rehhagel beim FC Bayern eskalierte zum großen Missverständnis".

Beckenbauer übernahm das Traineramt und gewann den UEFA-Cup. In der Meisterschaft wurde jedoch Dortmund wieder Meister. Rehhagel tauchte Wochen später überraschend in der 2. Bundesliga beim 1. FC Kaiserslautern auf. In seiner ersten Saison stieg er auf und in der zweiten Saison führte er Kaiserslautern als ersten und bisher einzigen Aufsteiger in der Bundesliga-Geschichte zum Meistertitel.

VerfasserSenseny SeligerQuelleKicker
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