"Wenn ich in München bleibe, werde ich sterben": Giovanni Trapattoni und die verrückten Bayern-Jahre

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"Wenn ich in München bleibe, werde ich sterben": Giovanni Trapattoni und die verrückten Bayern-Jahre

Die Beziehung zwischen einem Verein und seinem Cheftrainer kann eine der problematischsten Beziehungen im Fußball sein. Manchmal klicken die Dinge einfach - der Trainer trifft auf den Verein, die Funken fliegen, und der perfekte Sturm entsteht. Andere haben nicht so viel Glück. Wie sehr sie es auch versuchen mögen, die Maschine kommt einfach nicht in Gang. Es gibt innere Reibung, die Fans greifen ein, und das Ganze funktioniert einfach nicht.

Giovanni Trapattoni war einer der großen Komponisten des Fußballs. Aber auch er konnte aus dem schrägen Bayern München keine einheitliche Melodie herausholen.

Als Trapattoni zum ersten Mal auf die Bühne kam, befand sich die Mannschaft des FC Bayern gerade in ihren angstvollen Teenagerjahren. Die Umkleidekabine beherbergte eine bunte Mannschaft von Egos und wurde zu einem Schmelztiegel des Dramas. Aber es war die Vorstandsetage, in der die Dinge anfingen, schief zu laufen.

Der Clubvorstand und ehemalige Spieler Uli Hoeneß stand unter wachsendem Druck. Die jüngsten Mitglieder des Vorstands, Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge, führten die Anklage an: "All die Millionen in der Bank nützen nichts, wenn man keine Punkte hat".

Das war Jahr 1994, und die Bayern hatten gerade die Bundesliga mit Beckenbauer als Cheftrainer gewonnen. Die Klublegende war als Interimsmanager eingesprungen und hatte Bayern zum heimischen Ruhm geführt. Nachdem er sein Amt als Vize-Präsident wieder aufgenommen hatte, nahm "Der Kaiser" kein Blatt vor den Mund und erklärte, wie wichtig seiner Meinung nach weitere Investitionen seien, um den Klub an der Spitze zu halten.

Hoeneß, der Beckenbauers Absicht kannte, von der Trainerbank zurückzutreten, hatte bereits seinen Nachfolger gefunden: Einen jungen französischen Trainer namens Arsene Wenger. Monaco wehrte sich jedoch heftig und weigerte sich, sein Wunderkind seinen Vertrag brechen zu lassen. Das führte Hoeneß zu Plan B: Trapattoni.

Die Erste Akte

Bei genauerem Hinsehen schien der Italiener der perfekte Kandidat zu sein. Zu dieser Zeit lag der deutsche Fußball hinter dem übrigen Europa zurück - einige Klubs spielten noch mit 2 Innenverteidigern und einem Libero - während der als "Il Trap" bekannte Mann als taktischer Visionär bezeichnet wurde.

Trap wurde während seiner Spielzeit in Mailand von einem der Vorfahren dieser Philosophie, Nero Rocco, in der Kunst des Catenaccio geschult. Nachdem er Größen wie Eusebio, Pele und Johan Cruyff aus dem Spiel genommen hatte, wurde bald klar, dass Trapattoni ein frommer Schüler des Spiels war, der die so genannten dunklen Künste ebenso verehrte wie schöne Passkombinationen.

Trapattoni entwickelte sich zu einem überaus erfolgreichen Trainer und war in den späten 70er und 80er Jahren ein Pionier von "Zona Mista", der auf Roccos Stil aufbaute, indem er ein Element der zonalen Verteidigung einführte. Er feierte Erfolge bei beiden Mailänder Klubs und noch mehr bei Juventus, bevor ihn die Bayern unter Vertrag nahmen.

Ursprünglich stand der Italiener kurz davor, Roma zu trainieren, aber nach dem Scheitern des Deals war er überredet, ins Ausland zu gehen und einen Vertrag in München zu unterschreiben. Dies ist nicht zuletzt Lothar Matthäus zu verdanken. Der Spieler war unter der Leitung von Trapattoni aufgeblüht, als die beiden zusammen bei Inter waren, und wollte wieder mit seinem ehemaligen Cheftrainer zusammenarbeiten. "Ich war in ständigem Kontakt mit Trapattoni", sagte Matthäus gegenüber Bild. "Er wollte mich unbedingt verpflichten, aber als sein Wechsel nach Rom scheiterte, riet er mir, meinen Vertrag in München zu verlängern".

Doch es war nicht alles rosig. Erstens konnte Trapattoni kein Wort Deutsch sprechen. Zuerst weigerte er sich, die neue Sprache zu lernen, indem er behauptete, er würde sich über seinen Co-Trainer Klaus Augenthaler auf Englisch verständigen, der dann seine Botschaft an die Spieler weitergeben würde.

Zweitens zögerte Trapattonis Frau mit dem Umzug, nicht zuletzt, weil ihr Sohn im letzten Jahr seines Studiums in Mailand war. Sie einigten sich darauf, dass die Familie während des Umzugs an Ort und Stelle bleiben würde, wobei ein einjähriger Vertrag als eine Art Probezeit festgelegt wurde.

Wenn Hoeneß gehofft hatte, dass Trapattoni der Mann war, der Bayern in eine neue Ära führen würde, dann war das erste Wettbewerbsspiel des Trainers ein scharfer Realitätscheck. Die Bayern erlitten eine peinliche Niederlage in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den TSV Vestenbergsgreuth. "Wir müssen mit der Demütigung leben", bemerkte Matthäus anschließend schüchtern.

Danach besserte sich die Lage nicht mehr. Trapattoni versuchte sein Bestes und verpflichtete mit dem jungen Torhüter Oliver Kahn und dem französischen Stürmer Jean-Pierre Papin zwei Stars, während er gleichzeitig das Trainingsregime des Vereins revolutionierte. Doch nichts schien zu funktionieren. Dann schloss er die Presse an der Säbener Strasse ganz von den Trainingseinheiten aus - das war in Italien üblich, aber im deutschen Fußball zu dieser Zeit selten zu beobachten.

Die Medien häuften Druck und Erwartungen auf die Schultern der Bayern, indem sie sie als "Dream Team" bezeichneten. Der Ausdruck wurde erstmals 1992 von der amerikanischen Basketball-Olympiamannschaft geprägt, aber es war Kicker, der den Begriff für den Fußball übernahm und ihn den Bayern verlieh. Angesichts des Ansehens von Trapattoni im Spiel - in Kombination mit einem mit Stars gespickten Kader - wäre nichts anderes als Exzellenz akzeptabel.

Bayern brach aber unter Druck sofort zusammen und absolvierte die Saison auf dem 6. Platz, ohne dass eine Trophäe in Sicht war. Trotz des Verlängerungsangebots hatte Trapattoni genug. Die kulturellen Barrieren und die Prüfung durch die Medien waren nicht für ihn. "Wenn ich nicht 100 Prozent Trapattoni sein kann, sollten wir das hier beenden", gestand er gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Während Trapattoni nach Italien zurückkehrte und in Cagliari die Zügel in die Hand nahm, blieben Hoeneß und Co. auf dem Weg zur Dominanz. Dies führte den Verein bis vor die Haustür von Werder Bremen-Trainer Otto Rehhagel.

Das Rehhagel-Intervall

Rehhagel hatte mit zwei Bundesliga- und DFB-Pokal-Titeln sowie einem Pokal der Pokalsieger die erfolgreichste Zeit in der Geschichte Werders hinter sich gebracht. Sobald die Breman-Fans jedoch von Rehhagels Vorvertrag mit Bayern erfuhren, wurde Rehhagel für den Rest der Saison systematisch ausgebuht.

Der neue Cheftrainer der Bayern war ein autokratischer Disziplinierer. Er regierte in Bremen an der Spitze, betrat aber in München eine Löwenhöhle, wo er sich mit dem ebenso eigenwilligen wie eigensinnigen Trio Hoeneß, Beckenbauer und Rummenigge auseinandersetzen musste. Als ob es nicht genügte, war Bayern-Kader in einen Bürgerkrieg ausgebrochen.

Matthäus geriet mit dem Neuzugang Jürgen Klinsmann nach einer schweren Verletzung schnell in Konflikt. Lothar verlor nicht nur seinen Platz in der Nationalmannschaft an den Dortmunder Matthias Sammer, ihm wurde auch die Kapitänsfunktion entzogen, die stattdessen seinem neuen Teamkollegen Klinsmann übertragen wurde.

Matthäus, selbst ein großer, oft umstrittener Charakter, war erzürnt; er blieb davon überzeugt, dass Klinsmann eine Kampagne führte, um seinen Namen zu beschmutzen. Was folgte, war eine erbitterte und hässliche öffentliche Auseinandersetzung.

Rehhagel verlor die Umkleidekabine, da die Mannschaft geteilt war und regelmäßig sowohl auf den Vorder- als auch auf den Rückseiten der Zeitungen erschien. Was einst als "Dream Team" bezeichnet wurde, trug nun einen anderen Namen, vor allem wegen der laufenden Seifenoper des Klubs: "FC Hollywood".

Rehhagel wurde 4 Spiele vor dem Saisonende entlassen und damit der Chance beraubt, den UEFA-Cup zu gewinnen, in dem er die Bayern bis ins Finale geführt hatte. Das hinterließ einen unglaublich bitteren Geschmack im Mund des Trainers, so sehr, dass er nach seiner Entlassung nicht zurückkehrte, um seine Sachen abzuholen.

Wieder einmal war Beckenbauer da, um die Saison mit dem Klub zu beenden. Die Bayern zerstörten im Finale des UEFA-Cups Bordeaux mit Zidane und Lizarazu mit 5:1 in zwei Spielen. Beckenbauer gewann mit dem Verein die Trophäe, die von ihm einst als "Pokal der Verlierer" beschrieben wurde.

Die Zweite Akte

Als sich der Staub nach einer explosiven Saison sowohl auf als auch abseits des Spielfelds immer noch gelegt hatte, kehrte Trapattoni nach München zurück. Der Trainer gelobte, "in den nächsten zwei Monaten einen Intensivsprachkurs zu belegen", und obwohl er immer noch nicht vollkommen fließend sprach, wurde er für seine verbesserten Kommunikationsfähigkeiten gelobt.

Die Bayern kehrten an die Spitze des deutschen Fußballs zurück und gewannen 1996/97 den Bundesliga-Titel mit 2 Punkten Vorsprung auf Bayer Leverkusen. Leider war der Sieg weit davon entfernt, in die Köpfe der Menschen zu gelangen. Während die Fehde zwischen Klinsmann und Matthäus noch immer wütete, fand der Stürmer mit seinem neuen Cheftrainer auch noch ein Hühnchen zu rupfen. In Bezug auf ihre fußballerischen Ideologien stießen die beiden aufeinander; Klinsmann favorisierte natürlich ein offensiveres, freieres Spiel, während der konservative Trapattoni seine bewährte Philosophie bevorzugte.

Der Italiener wechselte Klinsmann regelmäßig aus, wenn die Bayern vorrückten, und ersetzte ihn durch Mittelfeldspieler oder Verteidiger, sehr zum Leidwesen Klinsmanns. Die Situation erreichte ihren Tiefpunkt im Mai 1997, als sich die Bayern in einer torlosen Pattsituation mit dem Tabellenletzten Freiburg befanden.

Klinsmann, der bereits mehrere Torchancen verpasst hatte, wurde eingewechselt. Auf dem Weg vom Spielfeld beschimpfte er Trapattoni verbal, bevor er mit dem Fuß durch eine Litfaßsäule trat. Das Spiel endete mit 0:0, und der Vorfall wurde als "Tonnentritt" bekannt.

Kurz darauf bat Klinsmann um einen Transfer und vereinbarte mit Sampdoria die Bedingungen des Vertrags. Vor der Zusammenarbeit mit dem verehrten argentinischen Trainer César Luis Menotti wurde der Abschied des Spielers in der Presse bekannt, als er von seiner Erleichterung darüber sprach, endlich für einen "offensiv gesinnten" Trainer zu spielen.

In der folgenden Saison implodierte Bayern selbst. Trotz all der Schlagzeilen und Kopfschmerzen, die er Trapattoni bereitet hatte, waren Klinsmanns Tore für den Bundesliga-Triumph in der Tat entscheidend und wurden schmerzlich vermisst. Auch die Machtkämpfe gingen weiter, und die Spieler begannen zunehmend zu rebellieren, indem sie das Münchner Nachtleben besuchten und Chaos im Team verursachten.

Als die Situation außer Kontrolle geriet, beauftragte Uli Hoeneß private Ermittler, um die Aktivitäten seiner Stars nach Feierabend im Auge zu behalten - Informationen, die natürlich ihren Weg in die Presse fanden. "Oh nein, der FC Hollywood! Was als Aprilscherz gedacht war, entpuppt sich als wahr", lautete die Schlagzeile des Berliner Kuriers.

Ähnlich wie bei Trapattonis erstem Mal an der Spitze begannen die Probleme im ersten Spiel der Saison. Gastgeber Bayern verloren gegen den Aufsteiger Kaiserslautern mit 0:1, ein Ergebnis, das die reisenden Fans ins Schwärmen brachte. Der Cheftrainer von Kaiserslautern - kein geringerer als Otto Rehhagel - sprintete über das Spielfeld, um mitzufeiern.

Kaiserslautern sollte das Undenkbare erreichen und die Bundesliga gewinnen, während die Bayern den zweiten Platz belegten. Rehhagels neue Arbeitgeber hatten zwar nur zwei Punkte Vorsprung, aber psychologisch war die Schlacht bereits im März gewonnen.

Nach einer Niederlage gegen Schalke wurde Trapattoni von der Presse zerstört, weil Mehmet Scholl und Mario Basler nicht im Kader waren. Im Streit mit seinen Spielern und den Medien kündigte der Trainer an, dass man bis Dienstag nicht mehr trainieren wird.

Daran erinnerte der Autor Uli Hesse in seinem Buch "Bayern: Creating a Global Superclub": Der Italiener fuhr am Abend nach Mailand zurück, verfasste eine Rede in schlecht ausgearbeitetem Deutsch und reiste zurück an die Säbener Strasse, um vor der Presse zu sprechen. Nachdem er die Journalisten gefragt hatte, "ob sie bereit seien", begann Trapattoni mit einer explosiven Tirade gegen seine eigenen Spieler.

Je länger die Tirade dauerte, desto wütender wurde er und spuckte Gift, während er seine deutsche Aussprache verunglimpfte. Nun-ikonische Zitate, wie er seine Spieler als "schwach wie eine leere Flasche" beschrieb, schmückten die Zeitungen, während die zuschauende Welt auf den Zusammenbruch eines Mannes blickte, der zuvor für sein Gentleman-Verhalten bekannt war.

Es waren dreieinhalb Minuten voller hochoktaniger Dramatik und Wut. Diese Art von Fiasko lässt die Fußballfans der 90er Jahre die jüngeren Generationen verspotten, weil sie glauben, nichts sei manischer als eine Mourinho-Pressekonferenz. Diese PK ist in der Geschichte als die hitzigste und berüchtigtste Pressekonferenz der deutschen Fussballgeschichte herauskristallisiert.

Neun Tage später marschierte Trapattoni in das Büro von Hoeneß und forderte die Kündigung seines Vertrags zum Ende der Saison. Es waren noch zwei Jahre von seinem aktuellen Vertrag übrig, aber er wusste bereits, dass er die Umkleidekabine endgültig verloren hatte. Und es war ihm völlig egal. "Wenn ich in München bleibe, werde ich sterben", rief er aus.

Was zunächst wie eine himmlische Verbindung aussah, löste sich schnell in die giftigsten und flüchtigsten Beziehungen auf.

Den Artikel im Original könnt ihr hier finden.

Vielleicht könnten sowohl Trapattoni, als auch Rehhagel zu einem ruhigeren Zeitpunkt funktioneren. Was denkt ihr darüber?

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