Geheimnis der Bayern-Dominanz sind die Ideen von Holger Broich: Er macht Maschinen aus den Spielern

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Geheimnis der Bayern-Dominanz sind die Ideen von Holger Broich: Er macht Maschinen aus den Spielern

Der Erfolg der Bayern beruht nicht nur auf den besten Spielern der Welt. Schattenhelden helfen - von der Teammanagerin Kathleen Krüger, die rund um die Uhr die Probleme der Spieler löst, bis - früher - zu dem Assistenten alter Schule Hermann Gerland, der die Karrieren von Müller und Lahm ins Rollen brachte.

Eine relativ neue, aber schon gut bekannte Figur ist Holger Broich, seit 2014 ist er der Fitness-Chef der Bayern. Er hat die Spieler an übermenschliche Anstrengungen gewöhnt, sich an die Realitäten der Pandemie angepasst und die physische Basis der Mannschaft vorbereitet, die mit ihrem 90-minütigen Pressing alle Gegner erdrückt.

Heute feiert Broich seinen 48. Geburtstag und zu diesem Anlass - hier ist der Beweis, dass Fußball einen wissenschaftlichen Ansatz braucht.

Vor Bayern leitete Broich das beste sportwissenschaftliche Labor Deutschlands. Sogar Kobe Bryant kam dorthin.

Von 2003 bis 2014 arbeitete Broich als Senior Scientist bei Bayer. Das gleichnamige chemisch-pharmazeutische Unternehmen, dem die Mannschaft gehört, investierte in den Aufbau des ersten deutschen Großlabors beim Fußballverein - so entstand auf zwei Etagen der BayArena eine Fläche von 2.200 Quadratmetern.

Alles ist seriös: der Zugang durch spezielle Karten, der Zugang zu den Computern durch ein persönliches Passwort, die Spieler trainieren nur mit Fitnessarmbändern. Die Blutabnahme dauerte hier maximal drei Minuten. Broich sprach von totalem Datengeheimnis.

Das Labor ist nur die Spitze des Eisbergs. Im Untergeschoss der BayArena gibt es mehr Abwechslung: Die Halle hat die Größe eines Tennisplatzes, der Rasen ist ausgelegt, überall liegen Chips herum. Ein Monitor zeigt den Spielern den Ablauf der Bewegungen an. Reaktionen, Geschwindigkeit der Aktionen, Techniken der Bewegungen werden eingeschätzt: vorwärts und rückwärts, links und rechts, Beschleunigung und Verlangsamung - jeder Aspekt wird im Detail untersucht.

Nebenan befindet sich ein Trainingsraum für hartes Training - hier laufen die Spieler in Masken, mit denen sie sich in einer Höhe von 2000 bis 3500 km über dem Meeresspiegel fühlen. Dies verbessert die Ausdauer und vermehrt die roten Blutkörperchen (für eine bessere Sauerstoffaufnahme).

Ganz in der Nähe kann man in Kryokammern mit extrem niedrigen Temperaturen (die Gefäße sinken auf -110 °C), die der Thermoregulation und der Normalisierung des Blutkreislaufs dienen, seinen Eifer schnell abbauen. Selbst Kobe Bryant und der Baseballspieler Alex Rodriguez haben schon Kryokammern besucht.

"Seine Kollegen waren erstaunt, als sie den 1,90-Meter-Mann sahen", sagt Holger Broich über sein erstes Treffen mit Kobe im Jahr 2011. "In seinen Unterhosen wirkte seine Figur beeindruckend. Damals waren in den USA die Kryokammern für Sportler schon gang und gäbe, in Europa waren sie fast nicht vorhanden."

Bryant inspirierte Broich - der Deutsche sah, wie ein phänomenaler Athlet aussieht: "Jeder muss verstehen: Der Körper ist dein wichtigstes Vermögen. Die Art und Weise, wie Kobe auf sich aufpasst, ist beispielhaft. Er ist unglaublich professionell, hält eine strenge Diät ein und widmet sein Leben seiner Arbeit. Das sind die Werte eines wahren Sportlers."

Broich analysierte die Labordaten und nutzte sie für seine Fitnessarbeit mit dem Team. Er sah in einer wissenschaftlichen Herangehensweise die Chance für Bayer gegen die Top-Mannschaften: "Wir können uns nicht mit Bayern München oder Borussia Dortmund vergleichen, deshalb müssen wir gewissen Bereichen eine größere Bedeutung beimessen", sagt Werkstatt-Leiter Broich: "Das ist unsere Nische, in der wir versuchen, die nötigen Prozente herauszuholen."

Broich wechselte im Januar 2014 zu den Bayern.

Broich bezeichnete sich selbst unter Flick als Hansis Bodyguard. Hauptmethoden: Das Ampelsystem (zur Vorhersage von Verletzungen) und Mikroperiodisierung (Training ist immer anders)

Guardiola, Ancelotti, Heynckes, Kovac, Flick, Nagelsmann - Holger Broich hat eine beeindruckende Liste von Trainern, mit denen er in acht Jahren zusammenarbeiten konnte. Im September 2020 gab Broich dem Spiegel ein großes Interview und erläuterte kurz die Gründe für den bemerkenswerten Wandel der Bayern.

SPIEGEL: Niko Kovac hat vor knapp 18 Monaten während seiner Bayern-Zeit gesagt, man kann nicht versuchen, mit einer Mannschaft 200 km/h schnell über die Autobahn zu fahren, wenn sie nur 100 km/h schafft. Das Team, auf das dieser Satz bezogen war, ist nahezu dasselbe gewesen, das nun das Triple aus Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League gewonnen hat. Wie ist das möglich?

Broich: Es gab einen Trainerwechsel.

Holger war definitiv nicht begeistert von der Zusammenarbeit mit dem Kroaten. Er erwähnte, dass die Spieler die erholsamen 20-minütigen Fahrradfahrten nach dem Training nicht mochten - Kovac hatte diese Einheiten noch bei der Eintracht. Nico mischte sich bei Broich ein und beharrte auf seinen eigenen Methoden.

Unter Flick war alles anders. Hansi Flick vertraute der Expertise und den Leuten, die in den Fachbereichen arbeiten, also auch mir. Er hört uns allen zu", gesteht Broich. "Wie er die Mannschaft und den Staff führt, das ist wirklich überragend, da hat Hansi sehr große Fähigkeiten. Er macht das mit Empathie und Vertrauen, er vermittelt den Leuten große Wertschätzung, gleichzeitig verlangt er auch sehr viel. Aber es ist auch so, dass mit ihm als Cheftrainer alles steht und fällt. Wir aus den Fachbereichen sind seine Bodyguards. Wir unterstützen ihn, so gut es geht, aber am Ende muss er entscheiden."

Grundlage von Broichs Arbeit ist die Erfassung biometrischer Daten während des Trainings (z.B. metabolische und neuroendokrine Spitzenbelastung) und statistischer Daten während des Trainings und der Spiele (Gesamtdistanz, Anzahl der Sprints, Herzfrequenz).

Broich und sein Team analysieren die Informationen, suchen nach Problemen, bewerten deren Ursachen und schlagen einen praktischen Lösungsplan vor. Global gesehen gliedert sich die Arbeit der Fitnessabteilung des FC Bayern in drei Aspekte:

1. Die Aktualisierung der Ampelanlage. Die Spieler werden in verschiedenfarbige Zonen eingeteilt, um das Verletzungsrisiko anzuzeigen. Rot steht für hohes Verletzungspotenzial und grün für geringes. Die Farbe ändert sich, wenn sich die Daten ändern. "Häufig sind es Muskelverletzungen. Man kann nicht alles verhindern, Fußball ist eine Zweikampfsportart. Aber wenn zu viele Verletzungen dieser Art auftreten, muss man sein System hinterfragen", erklärt Broich.

2. Anpassen der Teamsitzungen an individuelle Eigenschaften. Broichs Konzept der Mikroperiodisierung bezieht sich darauf - Trainingseinheiten ändern sich ständig: Übungen werden in anderer Reihenfolge neu angeordnet, weitere Spieleinheiten kommen hinzu, Intervalle variieren.

Broich glaubt, dass die Mikroperiodisierung das Gehirn aktiviert. Das Training regt zum Nachdenken an, anstatt ziellos Übungen Jahr für Jahr zu wiederholen. Holger führte zum Beispiel Elemente des Yoga ein, als er bemerkte, dass es eine positive Wirkung auf Lewandowski hatte.

3. Dynamische Daten zeigen, wie Spieler auf Änderungen reagieren. Auf diese Weise können sie verstehen, welche Übungen sinnvoll sind und welche besser weggelassen werden sollten.

"Es gibt den Spruch: Fitness ist nicht alles, aber ohne Fitness ist alles nichts. Da ist etwas Wahres dran. Vielleicht werden Physis und Regeneration in dieser Saison noch einmal wichtiger als bisher schon. Die nächste Saison wird eine Herausforderung", argumentiert Broich.

Holger räumt ein, dass die Methoden ohne die strenge Selbstkontrolle und Disziplin der Spieler nicht funktionieren werden. Fußballfitness geht längst über das Training hinaus, man muss auf den richtigen Schlaf, die Ernährung und die mentale Gesundheit achten. "Eine Fußballkarriere bedeutet viele Opfer, harte Arbeit an sich selbst über Jahre hinweg, ein Höchstmaß an körperlicher und geistiger Aktivität", instruiert Broich.

Manchmal wird Holger vorgeworfen, dass er zu sehr auf Zahlen und Daten achtet: "Ich denke, es ist besser, die äußere Form der Spieler im Training im Auge zu behalten." Kritisiert auch innerhalb des Vereins - Uli Hoeneß zum Beispiel. Aber Broich hat eine Antwort: Ich werde nie vergessen, wie er einmal sagte, man dürfe den Fußball auch nicht zu verwissenschaftlichen. Aber das passiert bei mir auch nicht, das will ich gar nicht. Ich selbst habe mal Fußball gespielt und das hilft dabei abzuschätzen, welche wissenschaftlichen Ansätze uns weiterbringen können - und welche eher nicht. Wir betreiben keine Grundlagenforschung, sondern Anwendungsforschung. Messen können wir vieles, aber es muss auch Sinn ergeben. Ich glaube, Herr Hoeneß ist inzwischen ganz beruhigt."

Broich wurde während der Pandemie durch die Entwicklung von Cyber-Trainings zum Superstar. Fußballer begeistert

Bayern hat die Einschränkungen durch das Coronavirus perfekt gemeistert. Bereits Ende Februar bereitete sich das Fitness-Team auf die Bundesliga-Pause vor. Broich entwickelte einen speziellen Trainingsplan und stimmte ihn mit Flick ab. Der Verein lieferte die gesamte Ausrüstung (Fitnessarmbänder und notwendige Trainingsgeräte) zu den Spielern nach Hause.

Der Trainingsplan sieht folgendermaßen aus: Die Einheit dauert 75-90 Minuten, die Spieler trainieren zu Hause, Flick, Broich und sein Assistent Peter Schlösser sind in einem speziell eingerichteten Studio an der Säbener Straße. Die Kommunikation erfolgt über Zoom. Die Sitzung besteht aus drei Blöcken: Funktionsgymnastik, Krafttraining und Ausdauerübungen.

Das Online-Training basierte auf dem Prinzip der progressiven Überlastung - die Intensität wurde mit der Zeit gesteigert. Vor harten Übungen zu Hause hat Broich keine Angst: "Bewegungsmangel führt zum Verlust von Muskelmasse. Jeder, der lange Zeit einen Gips tragen musste, hat einen Muskelabbau erlebt. Die Knochen und das Herz leiden."

Holger hat auch das Kaloriendefizit beseitigt, ein weiteres erwartetes Problem. Die Bayern-Spieler ackerten wie gewohnt, konnten aber ihre Energie im Spiel nicht entladen. Broich kanalisierte ungenutzte Energie in den Aufbau von Muskelmasse.

So entstanden Maschinen wie Goretzka und Davies, der makellose Lewandowski wurde noch athletischer und Thomas Müller, der früher scherzte, dass er sich mangels Muskeln nicht verletze, stach nun mit seinem Bizeps hervor. Zwar war er selbst von den Strapazen ganz schön müde: "Manchmal wollten wir unseren Professor ins Weltall schicken."

Nach dem 8:2-Sieg gegen Barca betonte Goretzka seine körperliche Überlegenheit: "Mein Gewicht hilft mir bei der Ballannahme, macht mich beweglicher, ich bin gefährlicher in der Luft". Und Jerome Boateng lobte den Fitnesstrainer offen: "Ich bin Holger Broich sehr dankbar für die Planung der Cyber-Trainingseinheiten. Man hat das Gefühl, dass wir jederzeit das Tempo anziehen können, wenn der Gegner schon müde ist."

Broich hat sich die Gedanken um die kleinsten Details gemacht - er hat einen Freestyler gefunden, der die Arbeit der Spieler mit dem Ball per Videoverbindung bewertete. "Die Vasen in unseren Wohnzimmern waren in großer Gefahr", so Müller.

Bei den Cyber-Trainings wurde vor allem gelächelt, aber die Stimmung im Team war toll. Lewandowski machte Liegestütze mit seiner 3-jährigen Tochter Clara auf dem Rücken, Thiago war immer von seinem geliebten Hund verdeckt. Auch die alten Bekannten Arjen Robben und Bastian Schweinsteiger erschienen in der Klasse. Sie wurden gequält und ausgelacht. Doch Holger machte nicht bei den Ex-Fußballern halt: "Die Cyber-Trainings stehen allen Mitarbeitern des FC Bayern München zur Verfügung. Jeder Clubmitarbeiter kann sich anmelden und bei uns trainieren."

Broich steht jeden Morgen um fünf Uhr auf, läuft auf dem Laufband oder trainiert im Fitnessstudio, bevor er um acht Uhr mit der Arbeit beginnt. "Es ist schwer für Fußballer, mir davonzulaufen", sagt Holger, der auch mit 48 Jahren noch gut in Form ist.

VerfasserDmytro KrasiukQuelleTribuna.com
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