Gio Reyna über den Tod seines Bruders Jack: "Ich fühlte mich einfach verloren. Der Sport wurde zu meiner Zuflucht"

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Gio Reyna über den Tod seines Bruders Jack: "Ich fühlte mich einfach verloren. Der Sport wurde zu meiner Zuflucht"

Gio Reyna schrieb in seiner Kolumne für The Players Tribune darüber, wie wichtig sein Bruder Jack für ihn war.

"Eines Tages muss ich mich wirklich bei Sergio Agüero bedanken.

Lange Zeit habe ich mir gedacht: Gegen diesen Typen muss ich spielen, nur damit ich mit ihm reden kann. Nicht nur, weil mein Großvater Argentinier ist, oder weil Sergio einer der Lieblingsspieler meiner Familie ist, oder weil wir bei der WM vor zwei Jahren alle vor dem Fernseher saßen und Argentinien anfeuerten.

Nee. Ich habe ihm eine Geschichte zu erzählen. Vor vielen Jahren schoss Sergio ein Tor, das mir einen der glücklichsten Momente meines Lebens bescherte. Um zu verstehen, warum, müssen Sie etwas über meinen älteren Bruder Jack wissen.

Jack war mein Held, als ich ein Kind war. Manche Leute denken, dass mein Vater Claudio mich zu einem guten Spieler gemacht hat, da er selbst Profi war. Sicher, er gab mir tolle Ratschläge und ein paar ziemlich gute Gene. Aber als ich in Manchester aufwuchs, wo mein Vater für Manchester City spielte, war Jack derjenige, der immer mit mir im Hinterhof spielte.

Wir hatten die alten Samba-Tore, wissen Sie? Eins-gegen-eins, nirgendwo kann man sich verstecken. Ich war vier Jahre alt und Jack war drei Jahre älter, also hat er mich manchmal gewinnen lassen, indem er ein paar Schüsse unter seinem Fuß durchrutschen ließ. Die meiste Zeit aber sorgte Jack dafür, dass ich verlor. Und ich wurde wütend. Ich trat ihn, biss ihn, schlug ihn. Dann weinte ich und rannte zu meiner Mutter, Danielle. Durch diese Spiele bin ich sehr erwachsen geworden, und Dad wird Ihnen das Gleiche sagen. Mein Konkurrenzdenken, mein Eigensinn, all das kam von dem Versuch, Jack zu besiegen.

Er war der perfekte Bruder. Ich war immer ein schüchternes Kind, also hat er mich in alles einbezogen, was er mit seinen Freunden gemacht hat, was bedeutete, dass ich mich daran gewöhnte, gegen Kinder zu spielen, die einige Jahre älter waren. Das gab mir Selbstvertrauen. Wenn ich nicht in der Nähe war, hat er nette Dinge über mich gesagt. Als er merkte, dass ich besser sein würde als er, trieb er mich an, der Beste zu werden, der ich sein konnte. Und wenn ich ein gutes Spiel gespielt hatte, war er der Erste, der mich anrief, um mir zu sagen, wie gut ich gespielt hatte.

2007 zog unsere Familie nach New York, wo mein Vater für New York Red Bulls spielte. Im Sommer 2010 wurde bei Jack Hirnkrebs diagnostiziert. Er war 11 Jahre alt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sah es so aus, als würde er es schaffen, aber im Dezember 2011 stellten die Ärzte fest, dass der Tumor zurückgekommen war. Kurz darauf, als wir in den Urlaub nach Mexiko fuhren, begann Jack krank zu werden und wegen der Chemotherapie an Gewicht zuzunehmen. Er konnte zwar noch laufen und schwimmen, aber er wurde sehr schnell müde. Das war der Zeitpunkt, an dem mir klar wurde, dass dies sehr schlimm enden könnte.

Wir waren alle ziemlich sicher, dass City QPR schlagen würde, eines der kleineren Teams in der Liga. Als City in der ersten Halbzeit ein Tor erzielte, schien der Sieg und damit der Titel nur noch Formsache zu sein.

Doch QPR drehte das Spiel und ging in der zweiten Halbzeit in Führung. Da United gewann, brauchte City zwei Tore. In unserem Wohnzimmer hat niemand mehr gelächelt. Ich hatte Mitleid mit Jack. Er war zu diesem Zeitpunkt so krank, dass er weder gehen noch sprechen konnte. Jetzt würde er auch nicht mehr erleben, wie City die Liga gewinnt.

Zwei Minuten in der Nachspielzeit erzielte Edin Dzeko den Ausgleichstreffer. Das gab uns etwas Hoffnung, auch wenn das Spiel schon fast vorbei war. Zwei Minuten später erzielte Agüero den Siegtreffer. Sie haben das Tor gesehen. Sie haben den Kommentar gehört.

"AGÜEROOOOOOO!!!"

Wir sind im Wohnzimmer durchgedreht. Wir sprangen herum, schrien und feierten und umarmten uns. Der erste Meistertitel seit 44 Jahren! Gewonnen auf die unglaublichste Art und Weise. Wir sahen uns gegenseitig ungläubig an.

Plötzlich hörten wir jemanden nach Luft schnappen. Es war Jack. Er wälzte sich auf dem Boden herum, was aus dem Nichts kam, weil er kaum noch Energie im Körper hatte. Wir machten uns große Sorgen. 20 Sekunden lang sah es so aus, als könnte er nicht atmen.

Dann, ganz langsam, brach Jack in ein Lächeln aus und begann zu lachen. Wir erkannten, dass er das Tor feierte. Er war genauso glücklich wie wir. Ich werde diesen Moment nie vergessen. Es war so erstaunlich, so lustig, so verrückt.

Etwas mehr als 9 Wochen später, am 19. Juli, verstarb Jack.

Den älteren Bruder zu verlieren, wenn man 9 Jahre alt ist, verändert die Sichtweise auf das Leben. Man lernt, nichts und niemanden für selbstverständlich zu halten. Die nächsten Jahre nach Jacks Tod waren für die ganze Familie sehr schwierig. Ich persönlich fühlte mich einfach verloren.

Der Sport wurde zu meiner Zuflucht".

  • Hier könnt ihr den Artikel im Original finden.
  • Der zweite Teil der Gios Kolumne - über seinen bisherigen Weg und seine Ziele - haben wir hier übersetzt.
  • Der dritte Teil - über das Spiel gegen PSG in der Champions League - ist hier zu finden.
VerfasserAnton SeitzQuelleThe Players' Tribune
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